Es ist Nacht.
Zumindest ist es dunkler als am Tag. Ich stehe auf meinem Balkon und blicke in eine verdunkelte Hälfte des Tages hinaus. In meiner Gegend habe ich noch das Glück, so etwas wie ein Ahnung von Dunkelheit sehen zu können. Der Rest davon ist durch Straßenlaternen, beleuchtete Einkaufszentren, Lichtskulpturen verkannter Gartenkünstler und sonstiger Quellen nächtlicher Erhellung verschwunden. Selbst auf dem Land gibt es kaum noch Dunkelheit. „Sie machen die Nacht zum Tag“, wie ein unter Kennern gern verwendetes Filmzitat die Szene treffend beschreiben würde.
Sterne gibt es schon lange nicht mehr.
In diesem Moment erscheint ein unruhig zappelnder, von Lichtkegeln der Straßenlaternen unterbrochener Schein am Rande meines Blickfeldes.
Ein Spaziergänger erhellt seinen Weg durch eine an der Kleidung angebrachten Lampe. Die derzeitige Beleuchtung des Gehwegs reicht wohl nicht ganz aus. Man könnte ja den einen oder anderen Hundehaufen bei seiner nächtlichen Wanderung übersehen. Oder wohlmöglich von einem entgegenkommenden Fahrzeug auf seinem Gehsteig nicht rechtzeitig erkannt werden.
Vor allem aber: Es wäre ja dunkel!
Da fällt mir die Geschichte eines Freundes und Lehrers ein:
Eines Tages reparierte er sein motorisiertes Zweirad im Keller seines mit mehreren Parteien bewohnten Hauses, als der Strom aus fiel. Da es nicht mehr viele Arbeitsschritte zu erledigen gab, setzte er seine Arbeit einfach in absoluter Dunkelheit fort. Anschließend folgte er dem Treppenhaus zu seiner Wohnung und stolperte unterwegs beinahe über ein älteres Ehepaar, das tief verängstigt im dunklen Aufgang saß.
Warum schreibe ich darüber?
Wir sind moderne Menschen, die viele Strategien entwickelt haben, um zu überleben. Dabei haben wir uns immer weiter von der, nennen wir es mal „Natur“, entfernt.
Wir sind kaum noch in der Lage, die einfachsten Dinge zu durchdringen und in unserem Kosmos gebräuchlich zu verwenden.
Anstatt unsere Sinne zu gebrauchen und bestenfalls weiter zu entwickeln erschaffen wir Alternativen, die uns diesen Bezug abnehmen.
Es ist nicht mehr nötig, sich mit der Dunkelheit zu beschäftigen, seine Sinne darauf einzustellen, wenn wir doch alles erleuchten können. Lieber kaufen wir teure Ausstattungen, als uns einfach mal auf uns selbst zu verlassen.
Lieber besiegen wir unsere Ängste durch Schutzschirme, als uns auf den Grund dafür einzulassen.
Dabei verlieren wir jedoch, wenn wir nicht aufpassen, uns selbst.
Jedem sei sein Umgang damit selbst überlassen. Aus eigener Erfahrung jedoch kann ich nur sagen, das regelmäßiges nächtliches Training im Dojo, kleine Übungen zu Hause (nicht immer das Licht an machen, wenn man aufs Klo muss) und viele Ausblicke in die Dunkelheit durchaus auch den Blick für den Sonnenaufgang bestärken können.