Betrachtung

der Trainingseinheit vom Donnerstag, 30.01.1997

„Lasset die Kinder zu mir kommen“
Jesus Christus

Wenn wir auf die Welt kommen, so sind wir der universellen göttlichen Kraft noch sehr nahe und können die Welt direkt, ohne Gedanken, mit voller Aufmerksamkeit und Energie erfahren. Erst im Laufe unserer Entwicklung kommt es zum „Sündenfall“; wir verlernen den direkten Blick auf die Natur aller Dinge und verschleiern unsere Augen mit Begriffen und Assoziationen. Alles erscheint uns bekannt, alt und verbraucht. Die Farben und die Kraft der Dinge verschwinden.

Sollten wir „Glück“ haben, so begegnen wir Lehrern, die uns helfen zur Kindheit zurück zu finden und uns Methoden zeigen, die wahre Natur in allem wieder zu entdecken. Deshalb sagte sogar Christus, wir sollten werden wie die Kinder, um ins Paradies zu gelangen.

Auch Hatsumi betont immerwieder, daß wir das „Herz eines Kindes“ brauchen, um die Wahrheit zu begreifen. Es ist kein angeborenes Recht, weise und glücklich zu sein, sondern muß erst erarbeitet und verdient werden.

Das gleiche System können wir beim Erlernen einer Technik oder beim Training überhaupt beobachten. Betrachtet man beispielsweise einen „Neuanfänger“ im Vergleich mit Fortgeschritteneren, so fällt oftmals auf, daß dieser den Geist einer Technik intuitiv beser erfaßt; besonders dann, wenn er vorher noch keinerlei Kampfsport betrieben hat. Doch auch er überdeckt sehr bald seine Intuition mit dem Schleier der Gedanken und des angeblichen Wissens. So muß man erst wieder lernen, locker, frei und intuitiv zu handeln. Nicht die mechanische Genauigkeit, sondern der freie, lebendige Geist macht eine glückliche waza (Technik) aus.

Auch dies läßt sich auf das Ten Chi Jin zurückleiten.

Ten bezeichnet die alles durchdringende, kreative Energie, das Paradies, dem wir als Baby nahe sind.

Chi ist das Erlernen des Lebens, das analytische, technische Verstehen, wie wir unsere Daseinsform richtig einsetzen können und müssen. Hierbei geht Ten zwar nicht verloren, aber unser Blick, unser Bewußtsein verändert sich.

Jin ist die Rückführung, die Vermischung, Vermengung bzw. Zusammenführung des Universellen mit dem Individuellen, wodurch wir erst zu Menschen werden (Sandokai).

Es bleibt zu hoffen, daß jeder die nötige Energie aufbringt, nicht stehenzubleiben und die Wahrheit zu verwirklichen versteht.

Dirk Ballbach