Zertifixiert

Freiheit ist ein großes Wort. Gerade in einem Land, in dem doch nichts über Reglementierung zu gehen scheint. Gerade die freie Entfaltung jedes einzelnen nach dessen Interessen, Fähigkeiten, Neigungen und Vorlieben wird zwar derzeit im Kindesalter immer mehr auf die Fahnen geschrieben, spätestens als Erwachsener dann aber in einem starren und durch Bildungs- und Sicherheitsdenken fixiertem System wieder in seine Schranken verwiesen.

 

Aber wenn du denkst du wärst frei
dann geh mal in irgendeinen Laden
und pinkel da in den Kaffee

(Freier Auszug aus Triple-X)

 

In früheren, ganz früheren Zeiten war das gesellschaftliche Vorankommen sicherlich durch eine Art Kastensystem nicht gerade einfacher als es heute der Fall ist. Dennoch wurde mehr Wert auf die tatsächlichen Fähigkeiten eines Menschen gelegt, als auf das Papier, das sein können definieren soll. Wer das Geschick und die nötige Kraft mitbrachte, konnte zu einem Schmied gehen und ihn bitten, das Handwerk zu erlernen.

War er gut darin, übernahm er irgendwann die Schmiede seines Meisters oder zog weiter und eröffnete eine eigene.
War er nicht gut genug, wurde er entweder kein Schmied oder konnte sich wenn überhaupt gerade mal so über Wasser halten.

So oder so entschied nicht irgend ein Dokument darüber, wie das Leben verlief, sondern nur das Ergebnis der eigenen Arbeit, das Talent und das Erlernte bzw. erarbeitete Wissen.
Und dann kamen die Zünfte.

Sie sorgten zwar durch ihre stetig steigende Macht für mehr soziale Gerechtigkeit und Absicherung ihrer Mitglieder, aber auch für ein verschieben der Werte weg vom wahren Können hin zu zertifiziertem Einfluss. Und bis heute haben wir ein System, das nicht unbedingt den Menschen hinter dem Produkt betont, sondern die Zertifikate und Beziehung belohnt.
So kann man in einem Beruf durchaus sehr talentiert sein, wird aber nicht weiter kommen, wenn man sich nicht den vorgegebenen Qualifizierungen und „Vereinen“ unterwirft, während man mit den richtigen Papieren sehr viel erreichen kann, ohne wirklich geeignet dafür zu sein.

Im Budo verhält es sich da leider oft nicht anders.

Vor dem zweiten Weltkrieg waren Garduierungen im Osten auf Meister und Schüler beschränkt. Man lernte vom Meister bis man selbst zu einem wurde, wie der Schmiedeschüler im frühen Westen eben auch. Eine genauere Abstufung zwischen Schülern ergab keinen Sinn.

Und dann brach der Westen ein, in dessen Vorstellung ein stetiges Vorankommen nur durch genau definierte Etappen möglich war, am besten noch mit Qualifikationsnachweis durch Zertifikate.

Farbe war in alten Zeiten ein teures Gut. Man erwarb seine Kleidung, vor allem den Gürtel, daher eher in „Natur“, was nun mal bei den meisten Materialien eher Weiß entsprach. Im Laufe der Zeit franzte der Gürtel immer mehr aus und die Jahre sorgten auch für eine dunklere bis schwarzgraue Patina. Daher erkannte man die langjährigeren Schüler an den dreckigeren Gürteln, was in den meisten modernen Kampfkünsten als Anlass zum Qualifikationsnachweis über die mit jeder Prüfung dunkler werdende Gürtelfarbe genommen wurde.

Jedoch sagt ein Gürtel nur aus, wie gut die Hose hält, nicht wie begabt der Träger ist. Ebenso sagt ein abgeschlossenes Studium noch lange nichts über die Qualifikation.

 

Ein Budoka mit grünem Gurt gewann in einem Turnier einen Kampf. Er wunderte sich über die überschwänglichen Glückwünsche seiner Kameraden nach dem Sieg, bis er seine Brille aufsetzte, die er für den Kampf zur Seite gelegt hatte. Da erkannte er erst, das sein Gegener, nicht wie er die ganze Zeit dachte, auch einen grünen, sondern einen Schwarzen Gürtel trug.

(Wahre Geschichte)

 

 

Wer dem Weg des Budo folgt, der erkennt früher oder später, dass es sowohl in seiner Kunst, als auch im restlichen Leben niemals ein Ende des Weges, ein Ziel und dann nichts mehr gibt, sondern dass das Leben aus ständiger Veränderung, Entwicklung und Lernen besteht. Dass ein Meister seines Faches zum Meister wurde, weil er genau das verinnerlicht hat, weil er nie aufgehört hat, den Weg zu gehen. Weil er weiß, das die Tinte und das Papier, ja selbst der Nagel, der es an die Wand fixiert mehr wert sind, als das Zertikat selbst.

In diesem Sinne.. Keep going.